versteckte Heilige © Hans-Jürgen Hereth, 2023
alter Schwede © Hans-Jürgen Hereth, 2023
Markgräfin Wilhelmine Gedächtnistour
Ohne die drei Stadtheiligen Wilhelmine, Jean (Paul) und Richard (Wagner) geht gar nichts in Bayreuth. Die Beschäftigung mit diesen Herrschaften sind unbedingte „musts“ in Bayreuth. Aber vielleicht kann man sich ihnen auch anderes nähern?
Die Schwester von König Friedrich dem Großen, dem Alten Fritz, Markgräfin Wilhelmine wurde zur Stärkung der preußischen Südflanke nach Franken verheiratet, genau so wie dies ihrer angeheirateten Ahnin Christiane Eberhardine von Brandenburg – Bayreuth mit dem damals als flatterhaft geltenden sächsischen König August dem Starken passierte. Von Preußen war sie ein anderes Kulturleben gewöhnt, als das, welches sie hier vorfand. Also musste sie kräftig in bauliche und inhaltliche Veränderungen investieren. Noch heute zehrt Bayreuth dankbar davon. Irgendwo muss die Radtour ja starten, also warum mit gleich in centro, am Markgräflichen Opernhaus.
Das freistehende barocke Hoftheater wurde anlässlich der Hochzeit ihrer einzigen Tochter, Elisabeth Friederike Sophie, mit Herzog Carl Eugen von Württemberg 1748 errichtet. Es folgt dem Typus des italienischen Logentheaters. Das aus Holz und Leinwand gefertigte, vollständig erhaltene Logenhaus ist als selbsttragende Konstruktion in die steinerne Gebäudehülle eingestellt. Der Innenausbau des Theaters erfolgte in kürzester Zeit mit zum Teil vorgefertigten und außerhalb der Baustelle bemalten hölzernen Architekturgliedern und gefassten Skulpturen. Zuschauerraum und Bühne bilden eine Einheit. Dem großen, von Säulen gerahmten Bühnenportal steht an der Rückseite des Zuschauerraums die Fürstenloge gegenüber. Wie an der Bühnenfront dient auch hier das Skulpturenensemble der Verherrlichung der Dynastie der Hohenzollern und seiner Auftraggeber, Markgraf Friedrich und Markgräfin Wilhelmine von Brandenburg-Bayreuth. In weniger als vier Jahren Bauzeit entstand von 1744 bis 1748 unter Federführung von Vater und Sohn Bibiena ein Meisterwerk barocker Festarchitektur. Seine Vorbilder waren die größten Opernhäuser ihrer Zeit, Wien und Dresden.
Ein Eindruck von der ursprünglichen Farbigkeit des Logenhauses konnte durch die von 2013 bis 2018 durchgeführte umfassende Restaurierung wieder gewonnen werden. Mit zahlreichen illusionistischen Effekten erzeugt die barocke Malerei ein überwältigendes Raumerlebnis. Nicht zuletzt deshalb wurde es schon vor seiner Renovierung 2012 von der UNESCO als einzigartiges Monument der Fest- und Musikkultur des 18. Jahrhunderts in die Liste des Weltkulturerbes eingetragen.
Nicht weit vom Opernhaus entfernt, etwas versteckt am Beginn der Fußgängerzone, liegt die jüdische Synagoge, die eher wie ein Hochsicherheitstakt denn eine kulturelle und religiöse Einrichtung anmutet. Menschen, die die Vergangenheit nicht so sehen wollen, wie sie war und auch heute noch einen Sündenbock für all die Widrigkeiten des Lebens suchen, ist dies leider geschuldet. Einer davon war der andere Stadtheilige, Richard Wagner. Zu dem alten Antisemiten, der ausgerechnet den jüdischen Dirigenten Hermann Levi von Münchner Hoforchester übernehmen musste, pilgert heute noch eine kulturelle Elite auf den „Grünen Hügel“ hinauf. Wer nach bangen, manchmal jahrelangem Warten eine Karte ergattert hat, ruiniert sich nach 8 Stunden Darbietung auf schmalen Sperrsitzen freiwillig Rücken und Blase. Kultur hat halt immer auch etwas mit (Mit-)Leiden, Aushalten (können) und Dabeisein zu tun.
Ach, was hat sich Mark Twain über die knödelnden, schreienden Wagner Sänger*innen lustig gemacht, die er auf seiner Neckar-“Expedition“ bei einem Konzert kennen lernen und ungläubig ertragen musste. Die Begeisterung seiner deutschen Mitzuhörer war ihm gänzlich unbegreiflich. Umso mehr hätte er sich gewundert, dass sich dieser deutsche Brachialkomponist im internationalisierten Bayreuth der Markgräfin Wilhelmine niederlassen und sein eigenes Festspielhaus erbauen konnte. Spöttisch kommentiert hätte er es sowieso. Umso mehr war er von der Marktgräfin angetan. Sogar ein Buch über sie hat er zumindest in Ansätzen schon konzipiert, zu dem es aber ebenso wie zu dem angekündigten Berlin-Buch nicht mehr kam. Am meisten hat Twain die hervorstechendste und in Deutschland seiner Meinung nach extrem seltene Eigenschaft der Markgräfin fasziniert: ihr Humor. Nur mit ihm ließ sich ihr Weg in die Provinz und der Aufenthalt dort ertragen: zunächst die nicht in Erfüllung gegangene Prophezeiung, die ihr vier mal die Königkrone versprach. Fast wäre sie Königin von England geworden, aber eben nur fast und jetzt nur Marktgräfin von Bayreuth-Brandenburg. „Elf Tage Schlamm & Matsch & Eis & Schnee & Regen & Eisregen & Einsamkeit & Isolation & erschöpfende Mühsal, Mühsal, Mühsal. Und das war nur der Hinweg. Dann der Empfang Bayreuth von Adeligen, die schäbig wie Dienstboten eines anderen Jahrhunderts gekleidet waren, Kanonendonner wie Hundegebell („Popp! Popp! Popp!“) und eine Residenz, die nur so hieß, weil ihr Schwiegervater darin wohnte. Er war der Herr, der Herrscher von Gottes Gnaden, über 43.000 Untertanen und sein „Hoheitsgebiet“ konnte eine Taube in einer halben Stunde überfliegen. Auch Gott macht Fehler und Wilhelmine deckte sie auf. Auf die Fragen des Markgrafen wie ihr denn all diese Altertümlichkeiten gefielen, antwortete sie freundlich, aber stereotyp „schön, wunderschön“. Die Ironie darin hat er nicht erkannt. Dafür hat sie aber wenig später diesen „Ramschladen“ gründlich und nachhaltig umgekrempelt.
Jean Paul Weg © Hans-Jürgen Hereth, 2023
Rollwenzelei © Hans-Jürgen Hereth, 2023
Auf Schritt und Tritt begegnet einem in der Altstadt auch der dritte Stadtheilige, Jean Paul, eigentlich Johann Paul Friedrich Richter. Er wurde in Wunsiedel 1763 als Sohn eines Kantors geboren. Die glücklichsten Tage seiner Kindheit verbrachte er, wie er in seiner Selbstlebensbeschreibung ausführt, in Joditz. Nach der Übersiedlung der Familie nach Schwarzenbach, fand Paul in einen Pfarrer einen Förderer seiner Lesegier. Paul las alles, was ihm vor die Finger kam und exzerpierte das Gelesene in Zettelkästen. Wer sich hier an Arno Schmidt erinnert fühlt, täuscht sich nicht. Die geistige Verwandtschaft ist evident. Auch die Studienjahre an der Leipziger Universität und die Rückkehr nach Hof waren mit Lesen und Schreiben ausgefüllt. Die kleinbürgerliche Welt, das beschränkte Leben mit seinen zufriedenen, dabei aber auch leidenden Menschen und vielfältige Todeserfahrungen bestimmte sein literarisches Schaffen. Am skurrilsten ist wohl die „Rede des toten Jesus Christus“ seines vergnügten Schulmeisterlein Maria Wutz.
Mit dem Ruhm kamen auch die Frauen. Sie umschwärmten ihn wie die sprichwörtlichen Motten das Licht. Und Paul ließ sich nicht zweimal bitten. Es folgten 10 Jahre mit Reisen in die geistigen Zentren seiner Zeit, neuen Wohnungen, Freundschaften und Liebschaften. 1804 ließ er sich in Bayreuth nieder, gründete eine Familie, wurde „hausväterlich“ und kokettierte sogar noch damit: „Ich bin ein Spießbürger“ (so äußerte er sich gegenüber den Dichter Varnhagen von Ense). Das war er wohl im seiner Lebensweise, die oft bespöttelt wurde. In seiner Dichtung war er das ganz und gar nicht.
Mit seiner dissonanzvollen, buntscheckigen Schreibart, voller wortmusikalischer Virtuosität, Ironie und Satire, skurril verschnörkelt und romantisch bewegt, baute er eine „Riesenbühne“, auf der personifizierte Lebenshaltungen und Weltanschauungen ihr verwinkeltes, oft unüberschaubares Spiel treiben konnten. Das hört sich kompliziert an und erschwert auch dem heutigen Leser vielfach dem Zugang zu seinem Werk. Viele Anspielungen sind zeitbedingt und nicht mehr ohne weiters nachzuvollziehen. Auch die vielfachen Wechsel der Personen erschweren das Verständnis. Was bleibt, ist die Liebe. Sie ist für ihn das höchste Zeichen der Welt- und Schöpfungsfreude, die den Liebenden das Urwesen der Seele offenbart. Der Paulsche Überschwang mag heute vielleicht sentimental oder schwülstig „rüberkommen“, mit seinem Traum von Seeligkeit trifft er aber auch den heutigen Zeitgeist ziemlich genau. Hugo von Hofmannsthal hat einmal darüber gesagt: „dieses Seelenhafte, das Aufgeschlossene, die grenzenlose gesellige, zarte Gesinnung ist uns in der Wüste des Verstandes verloren gegangen.“ Paul hat sie sich und uns erhalten.
Bis zu seinem, schon 35 Jahre vorher visionär erfahrenen Tod, blieb Jean Paul der Ruhm und der Erfolg treu. Er war der erste deutsche Schriftsteller, der vom Schreiben leben konnte. "Schreib-Treibmittel“, sein „Seelentrank“, „Magen-Balsam“, sein „Weihwasser“ und die „vorletzte Ölung“ war das Bayreuther Bier. Keines schmeckte ihm so wie dieses und kein anderes ward ihm Brennstoff für sein künstlerisches Schaffen. Das ging soweit, dass er Aufenthaltsorte danach aussuchte, ob und wie er zu seinem brauen Gebräu kam. Sein ganzer Freundeskreis war in die Beschaffung des Nachschubs involviert. Wer in diesem Verhalten Formen abhängigen Alkoholismus erkennt, wird sich nicht irren. Auch seinen Zeitgenossen kam das schon seltsam vor. Doch ohne ein paar Halbe am Morgen kam er erst gar nicht in Schreiblaune und „Trunkenheit, die den Geist lähmt, anstatt beflügelt, kenn ich (Jean Paul) nicht“. Der Glückliche? Aber ohne Bier geht es in Bayreuth auch heute wirklich nicht.
So lange man sich in der Innenstadt aufhält, fällt es nicht weiter auf, aber Bayreuth ist nicht unbedingt die fahrradfreundlichste Stadt Bayerns. Sie repräsentiert eher noch das Ideal einer autogerechten Stadt. Breite 4-spurige Schneisen zerschneiden sein Stadtbild. Schnell rein und schnell wieder raus. Dieses städtebauliche Konzept hat sich zwar überholt, besteht aber weiterhin. Mit der Universität sind viele junge Menschen mit ihren Fahrrädern nach Bayreuth gekommen. Der Campus, die Innenstadt und die "to go places" liegen eng zusammen und werden mittlerweile auch von Radwegen erschlossen.
© Hans-Jürgen Hereth, 2023
Eremitage © Hans-Jürgen Hereth, 2023
Also einmal über den Wilhelmsplatz und hoch zum Grünen Hügel fahren, schauen, spotten, neiden und über den Bahnhof und das Stadtbad zurück zum Rotmain und an seinem Ufer (Eilrodtweg) über der Äußere Badstraße unter der Autobahn hindurch hinauf zur Eremitage. Nomen est omen. Einsamsein und Melancholie, die Motive der Frühromantik. Da Markgraf Friedrich von Bayreuth seine Gattin mit dem Hoffräulein von Marwitz betrog, suchte diese „Zuflucht“ mit Lektüren in bergkristallverzierten Mooshütten in Sanspareil oder eben in der auswärts von Bayreuth gelegenen „Einsiedelei“ mit seinen versteckten Grotten, Heckenquartieren, Laubengängen und Wasserspielen. Hier, im 1745 fertig gestellten Neuen Schloss, schrieb die Markgräfin ihre berühmt gewordenen Memoiren. Doch Mitleid mit der „armen“, betrogenen Gräfin braucht man nur bedingt zu haben. Sie selbst war, zeitgemäß, selbst mitleidlos gegenüber den zur Arbeit Zwangsverpflichteten, den für einen Hungerlohn schuftenden Handwerkern und den 10 Stunden lang Blattgold wälzenden und hämmernden Waisenkindern, die lediglich mit einer Brotsuppe entlohnt wurden (Engelmann: Wir Untertanen, Just. S. 78)
Nach erfolgreicher Durchquerung der Einsiedelei führt der Weg die Königsallee hinab zur Rollwenzelei, Jean Pauls beliebtesten „Einkehrschwung“. Die stark befahrene Straße geht es auf Radwegen weiter bergab Richtung Hofgarten, in dem Erstsemester gerne in die Geheimnisse des zukünftigen Studienlebens eingeweiht werden und dabei mitunter makabre „Bewährungsproben“ bestehen müssen. Hier befindet sich auch Deutschlands einziges Freimaurer Museum. Nach einem Besuch lösen sich hoffentlich viele Vorurteile darüber in Luft auf. In Wagners städtischer Residenz, der Villa Wahnfried, gleich daneben, bleiben eher Fragen offen. Auch das Jean Paul Museum befindet sich hier. Weiter geht die Fahrt auf der Bismarck- und Bambergerstraße Richtung Sonnenuntergang (Adalbert Stifter), vulgo nach Westen.
Dort, ganz in Westen von Bayreuth, in Donndorf, liegt das Lustschloß „Fantasie“ mit seinem ursprünglichen barocken Garten, der im Lauf der Zeit zu einem „empfindsamen“ Landschaftsgarten, von Jean Paul als „artistisches Lust- Rosen- und Blütenthal“ oder „ersten Himmel von Bayreuth“ gerühmt, umgestaltet wurde. Von 1839 bis 1881 wurde das Schloss umgebaut und der Garten durch landschaftliche Parkräume, so nennt man heute die Skulpturen, Terrassen und Brunnen, ergänzt. Seit dem Jahr 2000 ist hier das erste Museum Deutschlands zur Geschichte der Gartenkunst untergebracht. Es dokumentiert die wechselvolle Geschichte der Gartenmoden, zeigt Pflanzbücher ebenso wie u.a. im Spindler-Kabinett oder dem Weißen Saal höfische Lustbarkeiten al fresco.
Zurück geht es über den Matzen- und Meyernberg auf der Fantasiestraße zu den Brauereien Glenk und Becher. Über den Mistelbach und die Maximilianstraße kommt man wieder zum Hofgarten. Über den einen oder anderen Biergarten oder Wirtschaft geht es zurück zum Ausgangspunkt oder man erweist Herrn Wagner in seiner Stammgaststätte „Die Eule“ die Ehre, ein heute immer noch beliebter Einkehrort mit einem schönen Biergarten. Größer und der Zeit angepasst ist „Maisel´s Bier Erlebniswelt“ als Teil der Konzeptgastronomie Maisel & Friends mit angegliederter Weißbierbrauerei. Da auch das Alkoholfreie sehr süffig ist, steht der Weiterfahrt zur „Fantasie“ nichts im Wege. Auch im Bayreuther Untergrund, seinen Katakomben, lässt sich die Tour mit einer Führung und Bierverkostung beenden.
Eremitage, Kampf der Geschlechter © Hans-Jürgen Hereth, 2023