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Oberbayern
Kruzitürken
Kruzitürken. Viele Wege führen zum Fluch.
Dieser soll zum Ausschiffungshafen der bayerischen Herzöge und des Blauen Kürfürsten nach Wasserburg am Inn geleiten, vorbei an Tabakgeschichten mit einem anderen dominanten König, schwarzen Schweinen und zwiedernen Engeln.
 
Vom Bahnhof der Doppelortschaft Höhenkirchen Siegertsbrunn an der Kirche St. Leonhard vorbei durch den Höhenkirchener Forst auf Siegertsbrunner geräumt bis Oberpframmern und von dort auf der leider stark belebten Landstraße bis Glonn. Glonn liegt im Kessel und seine Zufahrten haben gute 10% Steigung/Abfahrt. Aber Zinnberg, Georgenberg und Hermannsdorf müssen sein, außerdem sind sie für tolle Aussichten und eine schöne Einkehr gut.
Schnupftabak
Schon kurz nach der Entdeckung Amerikas beobachten die Spanier Einheimische, „die in ihren Tempeln Kraut in ihre Nasenlöcher schnupften, das von solcher Kraft war, dass es einem völlig den Verstand raubt“. 1561 führte der französischer Gesandte Jean Nicot das Kraut nach Frankreich ein, wo es wenig später seine Königin Katharina von Medici gegen Schnupfen und Migräne zu sich nahm. Seinen Spitznamen poudre de la reine hatte es damit weg.
 
Was dem Adel gut tut, kann für den Bürger nicht schlecht sein. 1733 eröffnete in Offenbach die erste deutsche Schnupftabakfabrik, die noch heute existierende Firma Bernard. Für jeden Geschmack hatte sie ein Pulver parat, auch wenn dieses zunächst selbst zerrieben werden musste. Aufbewahrt wurde es ähnlich wie härtere Drogen in Glas- oder Silberdosen. Obwohl im 20. JH weitgehend durch die Zigaretten verdrängt, hat sich eine eigene Schnupferszene mit Schnupfclubs, deutschen und Weltmeisterschaften fest etabliert.
 
Die in Süddeutschland bekannteste Art ist der Schmalzler oder Brasil. Er wurde ursprünglich aus gesoßten, dunklen Brasiltabaken hergestellt und mit Butterschmalz vermengt, um ihn weniger staubig zu machen. Daher der Name. Heute nimmt man hierfür Weißöl. Schmalzler haben oft einen erdig-würzigen Geschmack nach Tabak, ohne oder mit wenig zusätzlichen Aromen, eine feste bis klebrig-feuchte Konsistenz und sind meist dunkelbraun bis fast schwarz. Der bekannteste und zugleich weltgrößte Schmalzler Hersteller ist Pöschl Tabak aus Landshut. Neben der Gletscherprise kann man sich auch Fußballvereine wie Löwen (1860 München Snuff) oder FC Bayern (Snuff) in die Nase ziehen. Traditionelles Schnupfgut ist der ursprünglich von der Grafenauer Firma Bogenstätter hergestellte Perlesreuter Waldler Fresco.
 
Der mit 60 Jahren älteste Schnupferclub Bayerns befindet sich in Nandlstadt in der Hallertau. Um an Meisterschaften teilnehmen zu kommen, muss regelmäßig trainiert werden. Dabei ist jeder Handgriff, um die Tabakkrümel in sein/ihr Riechorgan bekommen, streng reglementiert. Beim Wettkampf bekommt dann jeder Teilnehmer ein Plastiklätzchen umgehängt, um die korrekte, bröselfreie Aufnahme kontrollieren zu können. Gewicht der tatsächlich inhalierten Brösel und die Schnelligkeit des Einsaugens bestimmen dann die Platzierung. Im Bayerischen Wald hat man angeblich nicht nur aus Genuss oder für den Wettkampf geschnupft, sondern aus gesundheitlichen Gründen. Es ging dort die Mähr, dass Schnupfen gegen Augenleiden helfen soll. Angeblich gibt es in schnupfstarken Gegenden weniger Brillenträger. Eines haben aber alle Schmalzler dabei: ihr Schnupftücherl, ihren Schneuzhadern, mit dem sie sich die brauen oder weißen Reste unter ihren Riechkolben abwischen können.
 
 

Zinneberg Wiesenkreuz © Hans-Jürgen Hereth 2023

Zinneberg © Hans-Jürgen Hereth 2023
Der Schnupftabakkönig
Seit Generationen hatte die Frankfurter Familie Büsing-Orville ihr Geld mit dem Vertrieb von Schmalzlern verdient. Ihr Spross Adolf hatte es damit zu so großen Reichtum gebracht, dass er 1901 in den Adelsstand erhoben wurde. 1898 nutzte er einen Erbstreit aus und erwarb bei Glonn Schloss Zinneberg mit den angegliederten Ländereien wie Schloss und Brauerei Egmating, Gut Ober- und Niederkirchseeon, Altenburg, Georgenberg und Sonnenhausen. Wohltätigkeit war seine Sache nicht, aber er zahlte gut. Das sprach sich herum und so konnte er auch Gut Herrmannsdorf erwerben, das er zu einem modernen, gewinnorientierten Gutshof ausbauen ließ. Wie auch für seine anderen Erwerbungen ließ die Neu- oder Umbauten von den damals renommierten Münchner Architekten Friedrich von Thiersch und Wilhelm Spannagel vornehmen. Aus welchen Gründen Büsing-Orville das Interesse am Landleben verlor, ist unklar. Von 1920 bis 1927 verkaufte er alle seine dortigen Besitzungen. Schloss Zinneberg ist seit dieser Zeit eine Jugendhilfe-Einrichtung der Schwestern vom Guten Hirten. Irgendwie passend zu einen ehemaligen Gutshof mit Tierhaltung.

Hermannsdorf © Hans-Jürgen Hereth 2023

schwarze Schweine vom Georgenberg © Hans-Jürgen Hereth 2023
Auch Karl Ludwig Schweisfurth war so etwas wie ein guter Hirte, zumindest nach seiner Läuterung. Er baute die elterliche Metzgerei zum Fleischimperium „Herta“-Wurst auf, verkaufte das Unternehmen und erwarb 1984 das Herrmannsdorfer Gut, um es in einen Musterbetrieb nach biologischen Grundlagen umzubauen. Hier dürfen die Tiere artgerecht und etwas länger leben. Aus den männlichen Küken wird nicht etwa Hundefutter hergestellt, sondern das „Landhuhn in der Brühe“, das 2018 als bestes bayerisches Bio-Produkt des Jahres ausgezeichnet wurde. Schweine und Rinder werden am Hof warm geschlachtet, d.h. die toten Tiere werden sofort weiterverwertet. Kaufen kann man dann die Produkte im Hofladen, essen im angeschlossenen Wirtshaus „Schweinsbräu“. Wie der Name schon sagt, eine Brauerei gehört auch zum Bio-Imperium.

Rott Altar © Hans-Jürgen Hereth 2023

Rott "zwiederne Engel" © Hans-Jürgen Hereth 2023
Die 10 km bis Aßling bleibt man leider auch nicht vom Verkehr verschont, ebenso wie einem die knackigen Anstiege weiterhin begleiten. In Aßling ist Rott am Inn schon ausgeschildert, das man nach weiteren 10 km erreicht. Auch hier schöne Ausblicke und ein Bräustüberl. Die 1650 gegründete Klosterbrauerei gibt es leider nicht mehr, stattdessen die Kaiser-Brauerei. Die dem Hl Marinus und Hl Anianus geweihte Abteikirche ist ähnlich wie die Wies ein Rokokokunstwerk der Spitzenklasse. Johann Günter Fischer als Architekt und Ignaz Günther und Georg Asam mit ihren plastischen Ausschmückung haben eine einzigartige Harmonie von Raum, Programm und Ausstattung geschaffen. Leider kann man die Deckenfresken, die Reliefbilder mit Szenen aus dem Leben des Hl Benedikt (Psallierchor), den Hochaltar mit den Statuen des Kaiserpaares Heinrich und Kunigunde und all die anderen Kunstwerke nur aus der Entfernung ansehen. Den Kirchenvorraum mit dem spätgotischen Stifterhochgrab und die Beichtstühle mit den zwiedernen Putten schließt ein Einganggitter ab, das nur zu den Gottesdiensten geöffnet wird.

Hallelujah in Attel © Hans-Jürgen Hereth 2023

Wasserburg Altstadt © Hans-Jürgen Hereth 2023
Nach einer weiteren rasanten Abfahrt erreicht man die Innebene und kann hier schon einen ersten Blick auf das auf einen Hügel gelegene Kloster Attel erhaschen (den gleichnamigen Fluss hat man bisher schon mehrere Male gequert). Jetzt ist man auf dem gekiesten Inn-Radweg. Auch wenn man Kloster Attel schon von weiten sieht, die Auffahrt ist ein wenig umständlich, weil man einen ziemlichen Bogen um den Hügel herumfahren muss. Aber was tut man nicht alles für das apokalyptische Weib von Peter Paul Rubens am Hochaltar. Doch alles Streben und Mühen ist sinnlos, das Bild ist eine Kopie, der Kirchenraum ist wegen erhöhten Diebstahlsaufkommens gar nicht zugänglich und nur durch ein Holzgitter zu erahnen. Dafür ist die Aussicht mal wieder recht hübsch.
 
Vom tief am Inn gelegenen Wasserburg ist noch nichts zu sehen, dafür von Inn Salzach Klinikum. Nähert man sich dem weißen Kasten, fährt man zunächst auf einen Hochsicherheitsbau zu, der sich als der der Forensik entpuppt. Auch in den schönen Klinkerhäusern, die eher an eine Villenkolonie erinnern, sind Patienten mit geistigen Beeinträchtigungen untergebracht. Von hier zum Bahnhof ist es nicht weit und die Höhe hat man auch schon, wenn da nicht noch Wasserburg als Pflichtbesuch anstehen würde. Aber nach Eis und Cafe, schlendern und schlemmen, geht der letzte Anstieg zum außerhalb der Stadt gelegenen Bahnhof auch noch. Der Inn war halt lange Zeit das wesentlich wichtigere Transportmittel.